Hallo Freunde der monströsen Wikieinträge!
Diesmal möchte ich euch ein wenig über die Zweipunktperspektive erzählen. Wer die Einträge über die Grundlagen und die Einpunktperspektive noch nicht gelesen hat sollte das vielleicht nachholen, dort erkläre ich Dinge, die ich hier einfach als bekannt voraussetze.
Sollten euch irgendwelche Ungereimtheiten auffallen sagt mir bitte Bescheid. Ich möchte euch mit den Einträgen ja nicht verwirren
Manchmal genügt ein Fluchtpunkt nicht, ein Motiv funktioniert trotz Beherzigung dieser Perspektive und ihrer Regeln nicht. Dann braucht es vielleicht einen weiteren Fluchtpunkt.
Mein Kunstlehrer in der siebten Klasse hat seinen Unterricht so gestaltet, dass er nie von einer anderen als der Einpunktperspektive gesprochen hat… und ich hab mich gewundert, warum mein Bilder seltsam aussehen. Bis zur zwölften Klasse war Perspektive dann überhaupt kein Thema mehr, und selbst da wurde eigentlich nur auf die Einpunktperspektive und Erfahrungsperspektive eingegangen, und das so seltsam, dass kaum einer aus dem Kurs den Unterschied verstanden hat…
Wie dem auch sei – zur Zweipunktperspektive:
Die Zweipunktperspektive findet sich in Städten, die im Raster angelegt sind (Mannheim, Trier, viele US Städte), in Innenräumen sobald wir in eine Zimmerecke schauen, und bei (eckigen) Objekten, bei denen wir auf die vertikale Kante schauen.
Eine Zweipunktperspektive kann auch in einem Bild zu sehen sein, das eigentlich eine Einpunktperspektive wäre, aber noch ein aufsteigendes oder abfallendes Objekt hat, zum Beispiel in einem Raum, von dem aus eine Treppe nach oben führt. Der Fluchtpunkt der Treppe liegt dann im 90° Winkel zur Horizontlinie exakt über dem Fluchtpunkt des Raumes. (ein Bild dazu folgt, sobald ich eins habe…)
Beispielbilder
Stehen alle Objekte parallel gibt es eine Seite rechts von der vertikalen Kante, und eine Seite links von der vertikalen Kante. Beide Seiten haben unterschiedliche Fluchtpunkte, insgesamt gibt es jedoch nur einen Fluchtpunkt je Seite, beide Fluchtpunkte liegen auf der selben Horizontlinie.
Parallel liegende Seiten haben den selben Fluchtpunkt.
Die vertikalen Linien bleiben vertikal, horizontale Linien außer dem Horizont gibt es nicht.
Die Fluchtpunkte müssen nicht zwingend so weit von einander entfernt sein, wichtig ist, dass sie beide auf der Horizontlinie liegen.
Schauen wir von außen auf ein Eckiges Objekt, also auf eine Kante (z.B. eine Hausecke), liegt der Fluchtpunkt der rechten Objektseite rechts des Objekts, der Fluchtpunkt der linken Objektseite links des Objekts.
Sieht man von innen auf diese Kante (z.B. eine Raumecke) liegt der Fluchtpunkt der rechten Raumseite links des Fluchtpunkts, die linke Raumseite hat ihren Fluchtpunkt rechts des Fluchtpunkts.
Zur Zeichnung:
Wie auch beim letzten Tutorial beginne ich mit einer sehr losen Kritzelei – diesmal allerdings auf Karopapier, die Skizze ist im Unterricht entstanden.
Auf einem leeren Blatt zeichne ich erneut einen Kartenumriss. Auch wenn es vielleicht nach Platzverschwendung aussieht, platziere ich die Karte mittig. Die Fluchtpunkte werden außerhalb des Bilds liegen (und für das Tutorial sollten sie ja gut erkennbar sein, und nicht in einer anderen Skizze untergehen), so habe ich genug Platz, um sie auf dem selben Blatt einzuzeichnen.
Durch die Fläche ziehe ich in Hellgrün die Horizontlinie. In dieser Farbe unterscheidet sie sich später von der eigentlichen Skizze, wird nicht versehentlich ausradiert, und stört beim Durchpausen der Karte auf mein Zeichenpapier nicht.
Wo die Fluchtpunkte liegen sollen ist diesmal nicht sonderlich schwer zu entscheiden, sie liegen je rechts und links der Zeichnung auf der HL. Wo genau, das lege ich beim Einzeichnen des Raums fest. Gefällt mir der Winkel, in dem die Wände aufeinander treffen, lege ich diese Linien als Referenzwert fest. Diese Linien bilden die ersten Fluchtlinien, und dort, wo sie die HL schneiden, liegen die Fluchtpunkte.
Den Raum als solches male ich mit einem Fineliner in hellem Orange nach, ebenfalls, um sie nicht versehentlich auszuradieren.
Die HL, und somit die Augenhöhe des Betrachters, liegt unterhalb der Regalbretter, daher ist die Unterseite, nicht aber die Oberseite zu sehen. Ebenso sieht man die Blumentöpfe nur angeschnitten. Blickt man auf diese runden Objekte, wölbt sich die vordere Kante nach unten. Schaut man den Rand von unten an, wölbt dieser sich nach oben.
Der Teppich hat einen dritten Fluchtpunkt, auf diese Art Perspektive gehe ich aber ein anderes Mal ein.
Die fertige Skizze übertrage ich mittels Leuchttisch auf mein Zeichenpapier (LANA Dessin 220). Für die Outlines habe ich mich für Copic Multiliner in grün (Strichstärke 0.05) entschieden.
Ich coloriere das Bild mit Copics, setze Akzente mit Polychromos und weißer Deleter Tusche.
Objekte im Raum
Wie verändern sich Objekte, wenn man sie in verschiedenen Blickwinkeln betrachtet oder zeichnet?
-
Kugeln verändern sich nicht, sie bleiben rund, Tiefe wird durch Schatten erzeugt.
-
Die Kanten der eckigen Grundfläche von Pyramiden folgen den Fluchtlinien, die Seitenflächen sind je nach Blickwinkel sichtbar, oder nicht sichtbar
-
Bei Zylindern ändern sich die vertikalen Linien nicht. Die runde Grundfläche verzerrt sich zur Ellipse.
-
Kegel behalten ihren Winkel, die runde Grundfläche verzerrt sich zur Ellipse, Tiefe wird durch Schatten erzeugt.
Je spitzer die Fluchtlinien eines Objektes mit runder Grundfläche auf den Fluchtpunkt zuläuft, desto runder erscheint die Kreisfläche. Ist der Winkel eher stumpf, verzerrt sich der Kreis zu einer schmaleren Ellipse.
-
Das Zeichnen von Kreisen kann vereinfacht werden, wenn man ein Quadrat als Ausgangsform zur Hilfe nimmt, und dieses auf den Fluchtpunkt ausrichtet, insbesondere, wenn man zwei Objekte in einen logischen Kontext setzen will.
In der Beispielkrakelei haben die Kiste und der Teppich die selbe Grundlinie, den selben Fluchtpunkt, die weiteren Linien sind parallel. Das Ufo und das Haus haben sogar die selbe Grundfläche. Die Uhr wird vom Betrachter direkt als Rund wahrgenommen, und kann somit im Kontext zum Haus kein von unten betrachteter Kreis sein.
Der Kontext lässt erkennen, dass es sich bei dem Objekt neben der Kiste höchstwahrscheinlich um etwas handelt, dass rund ist, auf dem Boden neben der Kiste liegt, und somit perspektivisch verzerrt ist (noch besser erkennbar wird die Szenerie mit mehr Objekten und Schatten). Wäre das runde Objekt so rund, als hätte man es mit einem Zirkel gezogen, ließe sich davon ausgehen, dass es entweder ein Ball ist, oder ein rundes, flaches Objekt, welches auf einer Kante steht.
Und abstrakte Formen?
Müslischalen, Kaffeekannen, Gitarren, Stofftiere, Autos… lassen sich eigentlich alle auf Kreise und gerade Linien vereinfachen. Indem man sie zuerst „in eine Grundform einsperrt“, diese auf einen Fluchtpunkt ausrichtet, oder die Objekte auf ihre Grundformen reduziert bekommt man eine perspektivisch passende Grundidee. Diese kann dann weiter ausgearbeitet werden.
(Und die richtig abstrakten Dinge, wie z.B. zerdrückte Senftuben, folgen ohnehin einer kaum nachvollziehbaren Perspektive)
Auf Menschen und Größenverhältnisse gehe ich jetzt nicht ein, sonst wird das hier zu viel und zu kompliziert.
Bis dahin viel Spaß, und falls es Fragen geben sollte lasst es mich wissen!
Quelle (neben Versuch und Irrtum):
Perspektive richtig sehen und zeichnen; Matthew Brehm – EMF Verlag – ISBN 978-3-86355-615-0